Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Sechzig Stadien. Das ist ein altes Maß, das in biblischen Zeiten allen Leuten bekannt war. Es steht für ca. 11 Kilometer. Mit dem Auto sind das für uns auf der Landstraße etwa 10 Minuten. Zu Fuß braucht man dafür schon etwas länger. Sechzig Stadien, so sagt das Evangelium des dritten Ostersonntags, müssen zwei Männer von Jerusalem nach Emmaus zurücklegen. Sie wollen weg von Jerusalem. Denn ihr Freund, mit dem sie lange zusammen waren, ist gescheitert. Er hat die schmachvollste Strafe erhalten, die es in der damaligen Zeit gab: die Hinrichtung am Kreuz. Damit war nicht nur seine Person, sondern genauso seine Botschaft von einem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit diskreditiert. Sie machen sich auch deshalb auf den Weg, weil sie Angst hatten, jetzt könnte es ihnen auch an den Kragen gehen. Ihr angepeiltes Ziel liegt sechzig Stadien entfernt. Für jemand, der niedergeschlagen, kraftlos, traurig und enttäuscht ist, kann das ein langer, ja ein sehr weiter Weg sein.
Ich kenne viele Menschen, die solche Wege gehen müssen. Oft fühlen sie sich wie die beiden Jünger nach einem Schicksalsschlag einfach nur halt- und kraftlos. Eine gute Bekannte hat vor ein paar Wochen einen Brief an ihre Freunde verschickt. Ihr Mann ist vor einem Jahr verstorben. Sie berichtet von ihrer Trauer, dem Schmerz und den vielen Fragen. Aber sie erzählt auch von Freunden, die sie besucht haben, die ihr zuhören, die eine Besorgung für sie erledigen oder einfach mal einen Blumenstrauß vorbeibringen. „Es ist jedes Mal, als ob ein Engel meine Seele berührt hätte“, schreibt sie in ihrem Brief. All diese Wegbegleiter haben ihr geholfen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen.
Auch das Evangelium berichtet von so einem Engel. Ohne dass die beiden Jünger es merken, gesellt sich auf dem Weg nach Emmaus ein Begleiter zu ihnen. Er geht einfach mit, hört zu und hilft ihnen zu verstehen, was geschehen ist. Dadurch werden ihre Schritte leichter. Ihr Trauerweg wird zu einem Osterweg. Lange können sie nicht erkennen, was da auf ihrem Weg geschieht. Der Fremde geht einfach mit wie ein guter Freund. Er begleitet sie voller Wohlwollen. Irgendwann gelingt es ihm, das versteinerte Herz der Jünger aufzubrechen und ihre Augen zu öffnen. Bei einer typischen Handbewegung - dem Brotbrechen - fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. Es ist Jesus, der da mit ihnen gegangen ist und jetzt bei ihnen ist. Er hilft ihnen zu verstehen und gibt ihnen Kraft, ihre schlechten Gedanken zu überwinden. Dabei hätten sie allen Grund gehabt, menschlich zu reagieren. Sie hätten allen Grund gehabt, es denen heimzuzahlen, die Jesus getötet haben. Doch der Auferstandene öffnet ihnen die Augen für eine andere Logik. Er hilft ihnen, nicht länger nach hinten, sondern nach vorn zu blicken.
Auch uns will der lebendige Jesus zu einer neuen Logik verhelfen. Wir sollen zuerst unsere eigenen Verwicklungen eingestehen. Dann können wir immun werden gegen all die fake-news und Manipulationen, die wir momentan erleben. Wir werden Andersgläubige respektieren und am Dialog der Religionen festhalten. Wir beenden die Wegwerfkultur und setzen auf einen anderen Lebensstil. Wir beginnen, der Machbarkeit zu misstrauen, dass alle Probleme nur technisch gelöst werden können. Die Geschichte von beiden Jüngern sagt uns: Ostern bringt ganz neue Menschen hervor.
Dass es gelingt, das Alte hinter sich zu lassen und den Blick nach vorn zu richten, wünsche ich heute allen Menschen, deren Leben gerade durcheinandergeraten ist, sich möglicherweise ganz neu orientieren müssen und noch nicht sehen können, wie ihr Leben weitergeht.
Pastor Burkhard Pepping